*Η Χέρτα Μίλερ, βραβευμένη με Νόμπελ λογοτεχνίας, έζησε το δικτατορικό καθεστώς Τσαουσέσκου και παρακολούθησε τη μετεξέλιξη των οικονομικών ελίτ του κατά την περίοδο του νεοφιλελεύθερου αυταρχισμού. Πριν από αρκετά χρόνια, έγραψε στην εφημερίδα Tagesspiegel του Βερολίνου ένα πολύ ενδιαφέρον άρθρο, με τίτλο «Nach der Diktatur ist vor der Diktatur» («Μετά τη δικτατορία είναι πριν από τη δικτατορία»). Μια ιστορική ανασκόπηση, από την εποχή του φασίστα δικτάτορα Αντονέσκου, στη μετάπλαση του κατεστημένου κατά την εποχή του Τσαουσέσκου και από εκεί στην εποχή της «ευρωπαϊκής προσαρμογής» του εν λόγω κατεστημένου, όπου το μόνο που δεν κατοχυρώθηκε ήταν οι δημοκρατικότερες μορφές διαβίωσης. Η Μίλερ σημειώνει χαρακτηριστικά: «Η ευρωπαϊκή πολιτική παραμέλησε από το 1989 και μετά το καθήκον της να αποτρέψει την αναγωγή της Ρουμανίας στις δικτατορίες της και να απαιτήσει μια πολιτική κοινωνία».
Η Μίλερ καταγράφει τους κώδικες της μετα-τυραννίας, στις «μεταολοκληρωτικές» ελίτ που ανέλαβαν να αποσοβήσουν τον όποιο αντίκτυπο εκδημοκρατισμού μετά από την πτώση του Τσαουσέσκου. Με «ευρηματικούς» συνδυασμούς οικονομικής ανταγωνιστικότητας, κοινωνικής εξαθλίωσης και ασφυκτικής επιτήρησης, όπως διατυπώθηκαν από τον Κ.Β. Τούντορ για τα στρατόπεδα εργασίας: «εθνικά εργοτάξια της νεολαίας, ώστε να μειωθούν οι άνεργοι, οι κλέφτες και οι ζητιάνοι». Αλλά και με την τεχνοκρατική γλώσσα των «ειδικών», που είναι πότε ωμή, πότε λόγια, πότε χυδαία, πότε γλοιώδης: «να εγκαθιδρυθεί η δικτατορία του νόμου».
Από τον Αντονέσκου στον Τσαουσέσκου κι από εκεί στις Δρακουλέσκου, αυτά είναι τα βάσανα του ρουμανικού λαού, εκεί που «το αίμα φτηνά πουλιέται και φτηνότερα αγοράζεται», όπως γράφει ο Νόρμαν Μανέα. Και τώρα, οι κρατικοδίαιτοι, ωμά νεοφιλελεύθεροι, ξετσίπωτοι και αποκρουστικοί «ευρωπαϊστές» εξ Ελλάδος μπορούν να συνεχίσουν τα χειροκροτήματα στο τρίτο στάδιο του ομόλογου «ευρωπαϊσμού» τους.
ΔΙΑΒΑΣΤΕ ΤΗΝ ΣΥΝΕΧΕΙΑ ΣΤΗΝ ΕΠΟΜΕΝΗ ΣΕΛΙΔΑ
Nach der Diktatur ist vor der Diktatur
Von Herta Müller
Die in Berlin lebende Schriftstellerin Herta Müller bekommt den Nobelpreis für Literatur. Aus diesem Anlass dokumentieren wir hier einen Beitrag, den Müller im Jahr 2000 für den Tagesspiegel über ihr Geburtsland Rumänien geschrieben hat.
Am 10. Dezember kommt es zwischen dem Altkommunisten Ion Iliescu und dem Rechtsextremisten Corneliu Vadim Tudor zur Stichwahl um das Amt des rumänischen Präsidenten. Iliescu war bis 1996 schon einmal Präsident und hat als Betonkopf alle demokratischen Ansätze erstickt.
Als «Freund der Bergarbeiter» kommandierte er nach stalinistischem Muster die Kumpel aus dem Schiltal nach Bukarest, um mit Knüppeln und Brechstangen auf Demonstranten Jagd zu machen. Noch schlimmer ist der Zweitsieger Tudor, der nach 1989 vom HofdichterCeausescus zum religiösen Führer der rumänischen «Blutgemeinschaft» mutierte. Man darf das Wahlergebnis nicht als «Protestwahl» sehen. Natürlich spielt die ökonomische Misere in Rumänien eine Rolle.
Aber viel schwerer wiegt die Verdrängung und Geschichtsfälschung, die seit Jahrzehnten andauert und im Westen nicht sonderlich wahrgenommen wird. Im Windschatten Milosevics und seiner Massenmorde organisierte sich, kaum 200 Kilometer von Belgrad entfernt, zehn Jahre lang ungestört der Faschist Tudor. Gleich nach Ceausescus Sturz gründete er eine rechtsextreme Partei und eine Zeitung, die beide unverhohlen «Großrumänien» heißen. Das Motto des völkischen Hetzblatts: «Wir werden wieder, was wir einmal waren – und noch mehr als das.» Was waren die Rumänen «einmal»? Sie waren zwei Mal nacheinander Spielzeug von Diktatoren, teils Getreue, teils Gejagte. Unter Marschall Antonescu war Rumänien von 1940 bis 1944 eine mit Hitler verbündete militärfaschistische Diktatur, die sich «die methodische und progressive Lösung der Judenfrage» zur dringlichsten Aufgabe gemacht hatte. Es herrschten die Rassengesetze, die Juden wurden enteignet und in Ghettos gezwungen. Bewaffnete Legionäre, denen Antonescus «ethnische Säuberung» zu langsam ging, wüteten in jüdischen Vierteln, spießten abgeschlagene Köpfe auf Gartenzäune, hängten die Toten an Fleischerhaken im Schlachthaus auf. Selbst Goebbels zeigte sich erschrocken über die Vernichtungsorgien der rumänischen Verbündeten. 1941 errichtete Antonescu ein KZ in Transnistrien; die fehlenden Gaskammern wurden durch blutige Handarbeit ersetzt, mindestens 120000 Juden und 20000 Zigeuner ermordet.
Anders als die Nazis ließ Antonescu die Kirche an der Macht teilhaben. Die Faschistensprache wurde von Popen geprägt, Vokabular und Sprachduktus klangen wie orthodoxe Gebete. Im rumänischen Faschismus verzierte der Weihrauch das Eisen. Auch die Ideologen der faschistischen Blätter waren Intellektuelle aus dem kirchlichen Umfeld. Emil Cioran zum Beispiel war der Sohn eines Popen. Erst in Frankreich, als Emigrant, packten ihn Schuldgefühle, und er bedauerte glaubhaft sein Frühwerk. Tudor muss seine faschistische Sprache nicht neu erfinden, sie liegt seit Antonescu fertig formuliert vor. Auch das Frühwerk Ciorans gehört heute wieder zur Standardlektüre. Und Tudor brauchte seinen Ceausescukult nur in einen Gotteskult zu verwandeln, damit die Kirche in der braunen Kutsche mitfährt. Seit er betet, spürt er in sich den Messias, in dessen Hand das «Schicksal der rumänischen Blutsgemeinschaft» liegt, der in Demokraten «Reaktionäre» und «Marionetten» sieht. Anscheinend gibt ihm das Beten auch die Kraft für seine Hetztiraden auf die Ungarn, Zigeuner und Juden. Und für die Verherrlichung Antonescus.
Für dessen Rehabilitierung als «heiligen antibolschewistischen Krieger» trommelt Tudor seit zehn Jahren mit großem Erfolg. Antonescu wurde 1946 wegen des Genozids in Transnistrien zum Tod verurteilt und beschwor vor der Hinrichtung seine Unschuld: «In meinem Haus wurde nicht einmal ein Huhn geschlachtet.» Seit 1989 erscheinen in Rumänien fortwährend Bücher, die Antonescu als Helden und Märtyrer preisen. Straßen werden nach ihm benannt und Denkmäler enthüllt. Seit Juni diesen Jahres trägt auch ein Militärfriedhof den Namen «Marschall Antonescu»; er liegt – ausgerechnet – im Grenzgebiet zur Bukowina.
Behörde zur Aktenvertuschung
Den Antonescu-Kult praktizieren aber nicht nur Tudors Parteigänger. Auch Politiker und Intellektuelle, die sich als demokratisch bezeichnen, halten die Rehabilitierung des Diktators für «normal». Wie weit die Wiederbelebung des Faschismus bereits gediehen ist, zeigt sich am deutlichsten im Parlament. 1991 ehrten die Abgeordneten Antonescu mit einer «Gedenkminute», nur die Vertreter der ungarischen Minderheit verließen aus Protest den Saal. 1999 hatte sich die «Gedenkminute» zur «Feierstunde» gemausert, bei der die Rehabilitierung Antonescus gefordert wurde – und die jenes Ministers, der die Rassengesetze erlassen hatte. Die Versicherung Iliescus, er werde nicht mit Tudor koalieren, soll den Westen beruhigen. In der Praxis koalieren jedoch ohnehin alle mit allen. Ihre antidemokratischen Vorstellungen einigen die Parteien; die Mehrheitsmeinung im Lande ist meist noch drastischer. Deshalb hat jeder fünfte Wähler diesmal dem Original Tudor seine Stimme gegeben, nicht einer blasseren Kopie. Schon vor der Wahl hatte Tudor in seiner durchs Hofdichten mit Metaphern versauten Sprache erklärt: «Unsere Partei hat die Mitgliederzahl von 200000 überschritten, wir sind eine Volkspartei. Ich mache mir schon Sorgen, denn wir sind ein mit Früchten überladener Baum, und in der Regel brechen dann schon mal Äste ab.» Iliescu hat in seiner zurückliegenden Amtszeit mit Appetit von Tudors Früchten gegessen und mit den Rechtsextremen koaliert. Weshalb sollten ihm die Früchte in der kommenden Amtszeit plötzlich nicht mehr schmecken? Ohnehin standen die beiden Ceausescu gleich nah. Der Lyriker Tudor besang ihn als «Genie der Karpaten, geliebtester Sohn des Volkes, Sohn des Lichts, Titan unter Titanen.» Und Iliescu war dessen geistiger Ziehsohn, eine Weile sogar für die Nachfolge ausersehen. Viele Jahre haben Ceausescus Früchte beiden geschmeckt; deshalb reagieren sie gleichermaßen allergisch auf die Recherchen über die Verbrechen der Ceausescuzeit.
Unter Iliescus Präsidentschaft machte der berüchtigte Geheimdienst Securitate unter neuem Namen weiter, schlich sich überall wieder ein oder zog sich erst gar nicht zurück. Nach Iliescus Vorstellungen sollten die Securitate-Akten für 40 Jahre geschlossen bleiben. Journalisten und Historiker, die auf eigene Faust aufklären wollten, wurden durch – wahrscheinlich gefälschte – Akten als IM diffamiert und mit Todesdrohungen traktiert. Erst kurz vor der Wahl wurde die Öffnung und Einsicht der Akten beschlossen und eine Behörde eingerichtet, die aber so spärlich ausgestattet ist, dass sie den Aktenbergen gar nicht gewachsen sein kann. Mancher nennt sie schon jetzt «Behörde zur Vertuschung der Akten». Auf die erste Geschichtsverdrängung nach 1945 folgte nach 1989 die zweite. Sie funktioniert so konsequent wie die erste, als kollektiver Beschluss aus individuellen Überzeugungen. Zwar hatte Rumänien erst im August ’44 die Seite gewechselt, vom Verbündeten Hitlers zu den Alliierten. Aber den rumänischen Faschismus gibt es in keinem Geschichtsbuch; den Schulbüchern zufolge stand das Land immer nur «an der Seite der siegreichen Sowjetarmee». Die Verbrechen des Faschismus wurden bis 1989 der deutschen und ungarischen Minderheit angehängt, nur sie galten als Hitler- oder Horthy-Faschisten. Ceausescu hat sich bis zuletzt dieser Wahrheitssplitter bedient, um die rumänische Wahrheit zu leugnen und die Minderheiten zu drangsalieren. Seine Lektion wurde beherzigt. Rumänien ist nicht nur wirtschaftlich Brachland, sondern auch im zivilen Denken. Seine Politik erschöpft sich in zwei Nostalgien – die nach Antonescu und die nach Ceausescu. Und Tudor ist kein Unikat, sondern ein Paradigma für viele. Mit seiner riesigen lila Sonnenbrille sieht Tudor dem General Jaruselski so ähnlich wie einem abgetakelten Schlagerstar oder einem Dorfboss der Mafia. In seinem Gesicht steht auch etwas vom düsteren Karadzic, vom Choleriker Schirinowski, vom wachskalten Putin, vom Waldbubenlächeln Haiders. Tudors Kurzbiografie in seinem Hausblatt «Großrumänien» liest sich so: «Geboren 1949 in Bukarest in einer Arbeiterfamilie mit patriotischen Traditionen, ehrlicher Intellektueller mit eigenem Gewissen, prominente Persönlichkeit des heutigen Rumänien.»
Genaueres war kurz vor der Wahl aus dem rumänischen Fernsehen zu erfahren, wo Tudor als Präsidentenkandidat interviewt wurde: ein düsteres Psychogramm. Tudors Antworten sind voller abrupter Sprünge, ein ständiger Wechsel zwischen Kreidefressen und Giftspucken. Seine Sprache ist mal ruppig, dann gelehrt, mal vulgär, dann religiös, mal sentimental, dann geifernd. Eine Parade unlogischer Gedankenfetzen – aber stramm militaristisch und offen rassistisch. Tudor weicht jeder Frage mit lang inszenierter Zerstreutheit aus – aber sein Hassinstinkt setzt sich jedesmal durch. Zu Beginn des Interviews wird er den Zuschauern als Philosoph, Soziologe, Senator im Parlament und Autor von 13 Gedicht- und Publizistikbänden vorgestellt. Er fügt hinzu, dass er auch Reserveoffizier der Rumänischen Armee sei. Auf die Frage, was er als Präsident mit den 13500 Juden im Land vorhabe, meint er blitzschnell: «Und mit denen in der Regierung sind es 14000.» Und fügt hinzu: «Ich habe nichts gegen das jüdische Volk», ergeht sich dann minutenlang im Lob von Jesus, Maria und dem heiligen Josef, mit der Schlussfolgerung: «Wer Antisemit ist, der ist im Grunde auch Antichrist. Also bin ich kein Antisemit, ich respektiere das Volk der Bibel.» Nur, was die Rückgabe konfiszierter jüdischer Häuser an Überlebende aus Israel angeht, stellt er klar: «Rumänien hat solches Eigentum nicht zum Hergeben, dafür ist es zu heilig.» Zur Verkleinerung der überdimensionierten Armee, sagt Tudor, was «euphemistisch» Reform genannt werde, wäre «eine Katastrophe» für Rumänien